Island, die berühmte und doch unbekannte Welt.

Unter „Nordland-Fans“ ist Island schon lange kein Geheimtipp mehr. Das Gegenteil ist der Fall. Stetig steigt die Besucherzahl und hat die jährliche Millionengrenze bereits überschritten. Deshalb und ganz klar auch weil, mit Beginn der Sommersaison am 1. Juni die Mietwagenpreise explodieren, wollte ich die Insel vor dem Sommer (Frühling gibt es in Island nicht) bereisen.
Der grösste Teil aller Islandreisenden besucht gewisse „Hot-spots“ wie Geysir, Thingvellir und blaue Lagune, ganz sicher. Auch ich hatte mir die berühmtesten Wasserfälle vorgemerkt und meine sehr grobe Routenplanung auf die Highlights ausgerichtet. Obwohl ich, 22 Jahre nach meinem ersten und bisher einzigen Islandbesuch, darauf gefasst war, dass der Tourismus einiges verändert haben wird, kam ich mit diesen Hotspots nicht zurecht. Die Wasserfälle sind spektakulär, unbestritten, aber irgendwie konnte ich mich nicht richtig darauf einlassen. Um die empfindliche Vegetation rings um die Sehenswürdigkeiten zu schützen, wurden überall Zäune und Ge-, rsp. Verbotsschilder aufgestellt, sowie Wege und Treppen gebaut, damit niemand in die Respekt einflössenden Schluchten fallen möge. Ich finde das richtig, weil anscheinend einfach nötig. Wie ich dann aber so im Fluss der Amerikaner, Briten, Deutschen und Schweizern, vom Parkplatz auf die Wasserfälle zutrieb, erfasste mich ein Unbehagen. War die Frontlinse erst vom Sprühregen befreit, vielleicht kämpfte sich die Sonne sogar für einige Sekunden durch die dicken Wolken, stand da sicher ein Asiate direkt in meiner Bildkomposition und streckte sein Selfiestick gen Himmel. Da fühlte ich mich plötzlich nicht mehr mit meiner Umgebung eins, sondern empfand mich als ein kleines Zahnrad im Uhrwerk der Tourismus-Industrie (was ich ja auch war!). Nicht nur meine Kreativität war mit einem Mal weg, sondern sogar die Lust, das zu fotografieren, was die 999’999 anderen Touristen in diesem Jahr, auch ablichten werden.

 

Kehrte ich solchen Orten den Rücken und stoppte an einem namenlosen Bach, oder stieg auf eine Klippe, die mangels Papageitaucher (die treffen meist erst um den 20. Mai auf Island ein) noch menschenleer war, stellte sich das alte Gefühl meiner Skandinavienreisen wieder ein. Das Gefühl, winzig klein und unbedeutend zu sein, in einer Landschaft die ganz gut ohne uns Menschen auskommt (wir aber nicht ohne sie). Die Ehrfurcht vor Fauna und Flora, die den wirklich harten Bedingungen, nahe dem Polarkreis trotzt, erwachte in mir und das schlechte Gewissen wich einem tiefen Glücksgefühl. Und es gibt sie zuhauf, die unbekannten Orte, die im ersten Augenblick nicht spektakulär sind, sich aber gerade deswegen lohnen, erlebt zu werden.